Teneriffa – Madeira | Achterbahn der…

Die Möglichkeit, im April 2022 eine Segelyacht von Teneriffa auf das europäische Festland zu überstellen, kam etwa 6 Monate zuvor. Lange überlegt haben wir eigentlich nicht, auch wenn Nina noch etwas größere Zweifel hatte als ich. Doch der Entschluss war gefasst – wir würden zum ersten Mal gemeinsam eine längere Passage segeln, doch das waren nicht die einzigen ersten Male, die uns auf diesem Törn erwarteten…

“Es gibt alte Kapitäne, und es gibt kühne Kapitäne, aber es gibt keine alten, kühnen Kapitäne.”

– adaptiert von André Kostolany

Die Abfahrt war für Samstag Mittag geplant, spätestens Freitag Abend sollte die Crew vollständig sein. Wir kamen am Donnerstag Mittag an, und machten uns nach dem Check-In im Hotel direkt ans Einkaufen. Dass Freitag ein Feiertag sein würde, und wir so Samstag Morgens alle Vorräte für 7-8 Tage einkaufen hätten müssen, hatten wir nicht auf der Rechnung. Also direkt zum näherten großen Supermarkt und los ging’s.

Zweieinhalb Stunden, drei mehr als volle Einkaufswagen, rund 250 Liter Wasser und eine interessante Taxifahrt später, kamen wir wieder in der Marina an. Mit improvisierten Mitteln (zwei sehr in die Jahre gekommene Einkaufswagen aus dem Lager des Marinaoffice), brachten wir den auf dem Pier zwischengelagerten Proviant auf das Schiff. Gut fünf Stunden nach dem Aufbruch zum Einkaufen wann wir fertig – und das nicht nur mit dem Provisioning.

Gestärkt mit wirklich guter Pizza (Pizzeria La Toscana) ging es gegen 00:00 Uhr zurück ins Hotel.

Die Wettervorhersage war zwar nicht besorgniserregend, aber die Bedingungen die wir zwischen Teneriffa und Madeira – unser Zwischenstop auf dem Weg nach Gibraltar – vorfinden würden waren durchaus “challenging”. Zu beginn warteten ideale Bedingungen mit 4-5 Windstärken (ca. 20-40 km/h bzw. 11-21 Knoten) Grundwind und Böen knapp darüber, 1-2 Meter Welle – beides aus Nord-Ost. Jedoch sollte der Wind rasch zulegen, wonach uns die Vorhersage mit spätestens Sonntag Mittag einen Grundwind von 6-7 Beaufort (40-60 km/h, 22-33 Knoten) und Böen mit gut 8 Beaufort (bis 74 km/h, 40 Knoten) prognostizierte. Da die Well sich entsprechend aufbauen würde, bestand der Freitag neben dem gründlichen Check des Schiffs auch darin zumindest bis inkl. Montag warme Mahlzeiten vorzukochen.

“Alles auf einem Schiff ist kaputt, du weißt es nur noch nicht!”

Samstag 14 Uhr – endlich können wir aufbrechen, und wie sich Montag Nacht herausstellen wird war es auch keine Stunde zu früh. Wir verlassen unseren Liegeplatz in der Marina Santa Cruz und setzen bereits im Hafenbecken das Großsegel, damit wir direkt von der Atlantikwelle herumgeschaukelt werden. Die Sonne scheint und alle freuen sich, dass es nun endlich losgeht. Morgens haben noch letzte Besorgungen erledigt und anschließend das etwa dreistündige Sicherheitsbriefing abgehalten – safety first, immer. Noch festgemacht am Liegeplatz haben wir das 9m Sturmvorsegel vorbereitet. Ein tolles Ding, dass bei längeren Passagen auf keinen Fall fehlen sollte. Abgesehen von seiner tollen Farbe ist es aus besonders festem Tuch, und das Schothorn (die hintere Ecke) ist hoch geschnitten, damit größere Wellen die über das Verdeck hereinbrechen unter dem Segel durchlaufen. Nicht nur sehr starker Wind sondern auch Wellen können so einem Vorsegel gefährlich werden – und schließlich soll ja alles heil im Mittelmeer ankommen.

Nach einigen Manöverübungen und dem Testweisen einbinden verschiedener Reffs (Verkleinerung des Segels) des Großsegels geht es zur Nordspitze von Teneriffa und damit in Richtung offener Atlantik. Um die körperliche Anpassung an den Seegang etwas angenehmer zu gestalten, gönnen wir uns gerne vor der Abfahrt eine Tablette gegen Seekrankheit. Egal wie oft du bereits auf See warst und großen Wellengang erlebt hast – es braucht einfach bis sich der Körper wieder an die sonst ungewohnten Bewegungen gewöhnt hat. Ich spüre dennoch eine schwelende Übelkeit die tendenziell nicht schwächer sondern eher stärker wird, obwohl ich am Steuer bin. Die Frage ob mein fast leerer Magen schuld daran sein könnte beantwortet sich wenige Sekunden nach dem letzten Bissen meiner Banane von selbst. Fischfutter. Kurz danach wird es aber rasch besser und ich merke bereits nach einigen Studen wie sich mein Körper wieder an die Bewegungen gewöhnt.

Sonntag 00:35 Uhr – lautes Knallen von Deck, ich werde geweckt und ziehe mich rasch an um an Deck zu gehen. Zwei Minuten später stehe ich im Dunkel der Nacht, das Großsegel schlägt umher. Ich gehe zur Großschot um diese abzuholen, während Brian am Steuer weiter den Kurs hält. Nach 50 cm Leine lässt sich die Großschot aber nicht mehr weiter anholen – dennoch schlägt das Segel weiter wie wild hin und her. Ich clippe mich an der Lifeline ein, verlasse das Cockpit und bewege mich geduckt Richtung Flaschenzug der Großschot – doch die ist nicht da wo sie sein soll. Die Verbindung zwischen dem Rollblock der Großschot und dem Deck hatte sich gelöst, der Block flog wie wild herum – eine gefährliche Situation, nicht nur für das Material auch für die Crew. Ich rufe nach einer Leine um den Baum zu sichern, das gelingt und wir können mit vereinten Kräften nach einigen Versuchen den richten Ersatzstift, zur Befestigung des Rollblocks finden und montieren. Wir holen das Großsegel wieder an und nehmen Kurs auf Madeira – zum Glück bleibt es bis dahin bei diesem Schaden, zumindest am Schiff…

Samstag Nacht, 5-6 Bft., 2-3m

Montag 3:40 Uhr – Ich klettere aus der Koje und ziehe mein Ölzeug an – es wird der letzte Morgen auf See sein bevor wir Madeira erreichen und damit wieder festen Boden unter den Füßen haben. Dank des doch schweren Seegangs, der mittlerweile auf Durchschnitte 3-4 Meter Welle von schräg-vorne angewachsen war, blieben die vorgekochten Mahlzeiten eher unberührt. Ich war bis lang der einzige der sich Pasta mit Gemüse-Tomatensauce gönnte – die hatte ich mir nach der nächtlichen Reparaturaktion aber auch redlich verdient. Man merkte deutlich, dass die Crew nur mehr für die wesentlichsten Dinge Energie aufwänden konnte. Und dazu zählte definitiv nicht mehr aufräumen, doch das hatte Brian vielleicht vor gröberen Verletzungen bewahrt. Als ich aus meiner Kabine sehe ich wie Brian am Boden sitzt und zur gegenüberliegenden Seite des Schiffs starrt. Auf meine Frage, ob es ihm gut geht erwiderte er jedoch, dass er sich heftig den Kopf gestoßen hatte, obwohl er größtenteils auf den am Boden liegenden Salonpolstern gelandet war.

Diese waren dank der immer wieder starken Krängung und den unaufhörlichen Erschütterungen von den Sitzbänken gerutscht und nach dutzenden Malen des wieder zurücklegen dort liegengeblieben. Brian war merklich gezeichnet, weshalb ich regelmäßig nach ihm sah und wie dafür sorgten, dass er weiterhin genug trinken würde. Die restlichen 16 Stunden auf See verbrachte er halb liegend, halb sitzen auf den Polstern der Sitzbänke am Boden des Salons. “Es war mein Fehler, ich hab mich nicht gut festgehalten”, lässt er uns später wissen. Manche Dinge lernt man leider auf die schmerzhafte Art – in diesem Fall zum Glück ohne gröbere Schäden. Ich steige den Niedergang hinauf dem heulenden Wind und schlagenden Wellen entgegen in die vorerst letzten dunklen Stunden auf See.

Montag 08:00 Uhr – ich beende meine Wache, leider ziemlich durchnässt. Eine Wellte hat mich überrascht bevor ich mich wegducken konnte und zusätzlich war die Garmasche meines linken Stiefels verrutscht. In etwa acht Stunden würden wir in die Marina einlaufen, weshalb ich einfach alles anlasse und mich auf die letzten freien Quadratmeter der Salon-Polsterlandschaft lege. Ein Powernap vor dem letzten Mittagessen auf See – und nach dem Anlegen endlich Duschen. Die letzte Dusche war bereits mehr als zwei Tage her, denn bei den Bedingungen die wir vorfanden war definitiv nicht daran zu denken. Das hätte dann wohl mit eleganten einem “Brian” geendet (sorry Mate, der musste sein…).

Marina Quinta do Lorde, Madeira

Als ich das nächste Mal an Deck gehe, sehe ich bereits die Umrisse der Blumeninsel und der Seegang beginnt sich zu beruhigen. Je mehr wir in die Abdeckung der Insel kommen, desto mehr fällt die Anspannung ab. Wir bergen das Sturmsegel und setzen wieder die Genua – zwar nicht in ihrer vollen Bracht aber gut zwei Drittel. Mit immer noch flotten 6-7 Knoten Fahrt nähern wir uns unserem Ausweichquartier, der Marina Quinta do Lorde. In der Hauptstadt Funchal werden leider die Pontoons erneuert, weswegen wir dort als Gäste nicht anlegen dürfen. Wir bergen die Segel und bereiten das Anlegen vor – trotz der immer wieder einfallenden Böen gestaltet sich dies problemlos und wir setzen unsere Füße wieder auf festen Boden.

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